Bei unserem Besuch im Januar waren noch Weihnachtsferien, und fast alle Kinder waren zu Hause in Lemong’o, auch die Internatsschüler. Da es stark regnete, wurden wir im Versammlungsraum empfangen, in dem normalerweise der Ältestenrat tagt.
Im Rahmen der üblichen, immer sehr festlichen Begrüßungsansprachen bekamen wir einen besonderen Dank als „Regenbringer“. Ich hatte für alle kleine Geschenke dabei, aber die größte Freude lösen immer die Fotos vom letzten Mal aus.
Die Kinder von der Lemong‘o Primary School.
Die Kinder von der Olmoti Boarding School hatten ihre schöne Matron (Hausmutter) Margaret dabei.
Zwei Kinder haben gefehlt, weil sie die Ferien bei einem Elternteil verbrachten, der nicht in Lemong‘o wohnt. Die Olmoti-Schüler haben sich leistungsmäßig sehr ins Zeug gelegt und fast alle ihre Noten verbessert. Naipanti (ganz links) ist jetzt in Klasse 8, ihr Endergebnis entscheidet darüber, ob sie in die Secondary-School gehen kann, was ihr erklärtes Ziel ist.
Zwei Jungs hatten ein besonderes Lob und Belohnung verdient für Bestnoten in Mathematik: Musenyi aus der 7. Klasse in Olmoti und Kasaine aus der 5. Klasse in Lemong‘o
Aber es gibt auch ein Sorgenkind: Den kleinen Risie. Ich hatte das letzte Mal darüber berichtet, dass mir ein starker Leistungsabfall bei dem vorher hervorragenden Schüler aufgefallen ist. Er hat auf mein Betreiben hin in den Weihnachtsferien Nachhilfe bekommen und hat mir auch stolz sein Heft gezeigt mit allem, was er in dieser Zeit gelernt hat. Aber er hatte auch ein traumatisches Erlebnis: Beim Kühehüten näherte sich ihm ein Elefantenbulle. Er hat die Flucht ergriffen, was durchaus verständlich ist, denn vor drei Jahren wurde ein Hütejunge von einem Elefanten zu Tode getrampelt. In seiner Panik ist er gestürzt und hat sich an Kopf und Bauch erheblich verletzt. Es wurde mir berichtet, dass er seither fast täglich ohnmächtig wird.
Ich verpflichtete seinen Onkel, der etwas Englisch spricht, mit ihm zur Untersuchung ins Krankenhaus zu gehen und gab ihm das nötige Geld dafür. Im Krankenhaus wurde ein Blutbild gemacht, ansonsten wurde der Junge als gesund entlassen. Ich wollte mich damit nicht abfinden, da der Junge weiterhin täglich kollabierte. So wurde ein zweiter Krankenhausbesuch organisiert in einem renommierten Krankenhaus in Moshi/Tanzania. Auch dort wurde der Junge ohne Befund nach Hause geschickt.
Im März hatte ich wieder Gelegenheit, die Freunde in Lemong‘o zu besuchen. Mein größtes Anliegen war, hinter Risies Problem zu kommen und eine Möglichkeit zu finden, ihm zu helfen. Aufgrund seiner täglichen Ohnmachten konnte er die Schule nicht besuchen. Ich lud Risie zu einer Pirschfahrt in den Amboseli-Park ein, um Gelegenheit zu haben, mehr von seinen Problemen zu erfahren. Er war voll im Glück, zumal wir auch die erhofften Löwen gefunden haben.
Er berichtete mir, dass er seit mehr als einem Jahr Ugali, den Maisbrei, von dem sich die Menschen in Ostafrika vorwiegend ernähren, nicht verträgt und davon starke Bauchschmerzen bekommt. Meine Frage, ob er das bei den Krankenhausbesuchen erwähnt hätte, verneinte er.
Zu Hause holte ich mir Rat bei meinen Medizinerfreunden (Danke an Gabi und Walter, Reinhard und Rosel), die übereinstimmend der Meinung waren, das Kind müsse mal in die Röhre und richtig gründlich untersucht werden. Eine liebe Freundin, die in Kenya lebt, erklärte sich bereit, die Untersuchung in einem vernünftigen Krankenhaus zu organisieren, zu überwachen und sich nicht abweisen zu lassen. So fuhr Risie im April mit seinem Vater und Lehrer Philip von der Lemongo-Schule, der gut Englisch spricht, nach Mombasa zur Untersuchung, eine Reise, die 16 Stunden dauerte.
Es war für alle drei ein einmaliges Erlebnis. Risie war sehr tapfer, hat alles klaglos über sich ergehen lassen. Zur Belohnung durfte er einen richtigen Strand-Urlaubstag erleben und bekam ein neues Outfit. Skihose und Wollpullover waren bei 35° nicht unbedingt Mombasa-tauglich.
Das Ergebnis der Untersuchungen war gleichzeitig erleichternd, aber auch alarmierend: Auch hier wurde Risie als grundsätzlich gesund beurteilt, aber auch als hochgradig mangelernährt. Er gab zu, dass er oft gar nichts zu essen hat, da er keinen Mais verträgt, sondern nur Reis, der ein Luxusgut ist, meistens nicht vorhanden oder nicht bezahlbar für die kinderreiche Familie. Er bekam vom Krankenhaus eine Art Astronautenkost mit für die nächste Zeit. Ein konzentriertes Vitaminpräparat hatte ich ihm schon von Deutschland mitgebracht.
Als ganz wesentliche Ursache für die Ohnmachtsanfälle gab der Arzt mangelnde Wasserzufuhr an, was ich schon vermutet hatte, da in den letzten Wochen auch andere Kinder diese Ausfälle hatten. Risie hatte mir erzählt, dass seine kleine 8-jährige Schwester täglich das Wasser für die ganze Familie nach Hause schleppt. Ich bat den Lehrer, dafür zu sorgen, dass die Kinder genug trinken. Er antwortete mir, Trinkwasser sei gar nicht oder nicht ausreichend vorhanden.
Das, was für uns selbstverständlich ist, der Zugang zu sauberem Trinkwasser, muss ein Recht für alle sein. Ich bin dabei, Möglichkeiten zu prüfen, wie diese Versorgung mit Wasser, zumindest erst mal für die mehr als 200 Schulkinder, sichergestellt werden kann. Es ist mir klar, dass ich damit „ein Fass aufmache“, aber angesichts der gesundheitlichen Probleme, die hieraus entstehen, kann ich meine Augen nicht verschließen. Ich habe mehrere Firmen angeschrieben und hoffe und bete, dass sich eine bezahlbare Lösung finden wird. Es zeichnet sich allerdings durch die ersten Antworten schon ab, dass ein umfangreiches bürokratisches Prozedere zu durchlaufen erst, ehe man mit der Planung beginnen kann, d.h. erst mal Zeit- und Kostenaufwand ohne konkretes Ergebnis.
Risie ist seit seinem „Ausflug“ nach Mombasa nicht mehr kollabiert, da er mit Nahrung und Trinken ausreichend versorgt wurde. Um diese Versorgung dauerhaft zu gewährleisten, habe ich ihn in einem guten privaten Internat angemeldet, wo man uns zugesichert hat, dass er vier Mahlzeiten täglich erhält unter Berücksichtigung seiner Lebensmittelallergie, und dass die Kinder immer genügend zu trinken haben. Dieses Internat ist vergleichsweise sehr teuer. Ich vermute daher, dass die Schüler vorwiegend aus reichen Familien kommen und hatte deshalb etwas Angst um unser armes, unterernährtes Massaikind. Kinder können grausam sein. Zu seiner Unterstützung habe ich seinen besten Freund Kasaine ebenfalls dort angemeldet. Er ist das kleine Mathegenie mit den großen Augen, ein Kind, das mir schon immer positiv auffiel. Ich habe ihm zur Aufgabe gestellt, Risie, der ja durch seine Krankheit viel Schulstoff versäumt hat, beim Lernen zu unterstützen und ihm auch sonst als Freund zur Seite zu stehen. Ich habe mich damit finanziell weit vorgewagt in der Hoffnung, dass Ihr uns weiterhin helfen werdet.
Zunächst musste die Einkaufsliste abgearbeitet werden, um den Einzug ins Internat pünktlich zu Beginn des 2. Tertials am 30. April zu gewährleisten. Das, was die Jungen mitbringen müssen, kostet für kenianische Verhältnisse ein mittleres Vermögen. Aber wer A sagt, muss auch B sagen. Die Jungen waren so stolz und glücklich, noch nie hatten sie so viele eigene Sachen.
Alles wurde überprüft und für gut befunden. Dem neuen Leben steht nun nichts mehr im Weg.
Bei den anderen Kindern lief im letzten Tertial alles soweit nach Plan. Alle haben neue Schul-Schuhe bekommen. Die Auslieferung der Bücher klappte immer noch nicht zu meiner Zufriedenheit. Obwohl ich das Geld schon im November überwiesen habe, hatten die Kinder in Olmoti ihre Bücher erst im Februar. Ich weiß nicht, wie ich diesen Vorgang beschleunigen kann. Es ist einfach eine logistische Herausforderung: Einen Lieferservice gibt es nicht, und im großen Olmoti-Internat hat niemand ein Auto.
Soinken, einer meiner langjährigen Kontaktpersonen in Lemong’o, kam auf mich zu mit der Bitte, seine Frau zu unterstützen, die einen hervorragenden Realschulabschluss hat und gerne eine weiterführende Berufsausbildung machen möchte. Mary Poni ist 23 Jahre alt und hat auf Anhieb einen Platz im „Medical Training College“ in Machakos erhalten, was für ihre Qualifikation spricht. Ich habe ihr versprochen, mindestens die Hälfte der Kosten für ihre Ausbildung zu übernehmen, die über 1.200 EUR pro Jahr betragen. Einen solchen Betrag können „normale“ Afrikaner einfach nicht aufbringen. Da Mary Poni verheiratet ist, wird sie hoffentlich ins Dorf zurückkehren, wo eine Krankenschwester von großem Nutzen wäre.
Bei meinen Besuchen in Lemong’o bin ich immer wieder gerührt von der Offenheit und Herzlichkeit der Menschen. Je mehr ich dort erfahre, umso dringender wird mein Bedürfnis zu handeln und zu helfen. Ohne Eure Unterstützung wäre das, was ich an Hilfe geben konnte und Euch beschrieben habe, nicht möglich gewesen. Ich bin Euch dafür von Herzen dankbar.
Bitte seid weiterhin an unserer Seite! Die Lemong’o Kinder vertrauen auf uns.